Niedersachsen.Global

Abschlussveranstaltung "Weltbaustelle Ernährung"

Vom Alltagsbraten zur Ackerbohne?

Ernährung zwischen lokalem Genuss und globaler Verantwortung
Menschen sitzen vor einer Bühne

Niedersachsen.GLOBAL

von Natalia Spetter vom 03.12.2025 (bearbeitet 15.12.2025)

Das Thema. Wie kann die Ernährung der Zukunft in Niedersachsen gestaltet werden, die sowohl ökologisch als ökonomisch zukunftsfähig ist und dabei faire Bedingungen für den Globalen Süden gewährleistet sowie Verantwortung für die globale Ernährungssicherheit übernimmt? Ausgangspunkt für diese Fragen ist die Feststellung, dass unser aktuelles Ernährungs- und Landwirtschaftssystem mit hohem Konsum tierischer Produkte und noch höherer Fleischproduktion auf all diesen Ebenen massive Probleme verursacht. Wie kann sie vorangehen, die Ernährungswende und welche Chancen eröffnen dabei insbesondere pflanzliche Eiweißquellen? Zur Entwicklung von Lösungen waren Teilnehmende aus Wissenschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Landwirtschaft in Hannover zusammengekommen.

Eröffnung. VEN-Geschäftsführerin Katrin Beckedorf & Susanne Gerstner, Vorstandsvorsitzende des BUND Niedersachsen betonten zum Auftakt die besondere Verantwortung Deutschlands für die globale Bekämpfung des Hungers und stellten die Verbindung von Klima- und Diversitätskrise zum Thema Ernährung heraus. Netzwerke und Kooperationen seien ein Schlüssel, um die Ernährungswende voranzubringen.

Vier Teilnehmerinnen der im Rahmen des Projekts durchgeführten Zukunftswerkstätten in Hildesheim und Lingen (Ems) berichteten über ihre Erfahrungen geprägt von hoher Motivation der Teilnehmenden, konstruktivem Austausch und wertvollen Erkenntnissen. Als wichtige Hebel für die Ernährungswende wurden der Umstieg bei Gemeinschaftsverpflegungs-Einrichtungen und Ernährungsbildung schon im Kindesalter genannt.

Erster Dialog. Im folgendem, von Moderatorin Lis Blume begleitetem Dialog, beleuchteten Dr. Sarah Iweala (Uni Göttingen, wissenschaftliche Mitarbeiterin WBAE) und Prof. Dr. Antônio Andrioli (Professor für Agrarökologe an der UFFS in Südbrasilien), die Entwicklung und Folgen des hohen Fleischkonsum in Deutschland und global. Laut Dr. Iweala sei der Fleischkonsum in Deutschland leicht gesunken aber pro Kopf immer noch mehr als doppelt so hoch wie die DGE-Empfehlung mit entsprechenden gesundheitlichen Folgen. Zudem zeigte sie die Auswirkungen auf das Klima und den Biodiversitätsverlust auf.

Zu den globalen Folgen machte Prof. Andrioli deutlich, in welchen gigantischen Ausmaßen unsere Fleischproduktion mit der Futtermittelproduktion in Brasilien verbunden ist und welche massiven Folgen der enorme Flächen- und Wasserbedarf vor Ort hat. Brasilien produziert dieses Jahr 170 Millionen Tonnen Sojabohnen auf 50 Millionen Hektar Anbaufläche. (Deutschland ist 36 Millionen Hektar groß)

Zur Frage nach der individuellen Verantwortung erklärte Dr. Iweala, dass die Entscheidung für Fleischkonsum vieler Menschen durch die Ernährungsumgebung und sozialer Verankerung geprägt sei. Zur Umgebung gehöre demnach auch mit welcher Präsenz tierische Produkte im Lebensmittelhandel oder in Restaurants im Vergleich zu pflanzlichen Produkten angeboten werden.

Workshops. Beim Workshop „Was Menschen beim Thema Ernährung wichtig ist – und was das für Ernährungskommunikation bedeutet“ von David Melches ging es um die Menschen und die Basis für ihre individuellen Entscheidungen. Laut der zugrundeliegenden Studie von „More in Common“ zeigt eine Mehrheit große Offenheit für Veränderungen bei den Ernährungsgewohnheiten auch in Richtung Nutzung pflanzlicher Produkte. Für die Kommunikation sei aber wichtig, dass Ernährung für die Menschen einen persönlichen Stellenwert habe und Vorgaben eher abgelehnt werden. Geschmackliche Vorlieben, Preise und gesundheitliche Überlegungen stehen ganz oben auf der Liste der Einflussfaktoren.

Der Workshop „Hülsenfrüchte vom Acker auf den Teller – wie gelingen Kooperationen?“ schloss thematisch an. Moderiert von Henning Niemann (KÖN), diskutierten Nadia Bremer (Biohof Bremer), Karin Haake (Bioland-Hof Gut Oelbergen), Roy Walowsky (GöVegan) und Reinhard Raffenberg (Happea Meat) über den Anbau sowie Einsatz heimischer Hülsenfrüchte u.a. für Fleischersatzprodukte. Die Erkenntnisse: Der Markt für heimische Hülsenfrüchte ist noch unterentwickelt. Kleine Betriebe stoßen wegen fehlender Vertriebswege, Qualitätsanforderungen und geringen Mengen an Grenzen, und große Verarbeiter nutzen regionale Ware bisher kaum. Gleichzeitig zeigen einzelne Initiativen, dass Produktentwicklung und Kooperationen funktionieren können. Entscheidend ist nun, gemeinsame Strukturen und eine klare Strategie zwischen Landwirtschaft, Verarbeitung, Handel und Politik aufzubauen.

Bei einem weiteren Workshop, geleitet von Torben Windheim (LWK),ging es um „Eiweißpflanzen mit Zukunft?! – Herausforderungen und Perspektiven für den Anbau in Niedersachsen“. Fazit: Der Anbauumfang in Deutschland und Niedersachsen an Körnerleguminosen steigt, Ackerbohne und Körnererbse haben dabei die größte Bedeutung. Einsatzmöglichkeiten bestehen in der Tierfütterung als auch in der Humanernährung, der Anteil liegt hier bisher aber nur bei 15%. Die Wirtschaftlichkeit ist entscheidend und hängt auch von der Verwendung und Absatzmöglichkeiten ab. Die Schwankungsbreite der Ernteerträge ist groß. Bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit sollten die positiven Effekte auf folgende Kulturen berücksichtigt werden.

Im Workshop „Hülsenfrüchte als Teil der zukünftigen Ernährung – zwischen Tradition und Innovation“ stellten Petra Zerhusen-Blecher und Cecilia Antoni (LeguNet) zunächst zentrale Informationen zum Anbau und zu den Erntemengen von Hülsenfrüchten in Deutschland vor und gaben Einblicke in traditionelle Gerichte sowie grundlegende Zubereitungstipps.
Im anschließenden Brainstorming wurde diskutiert, wie regional erzeugte Hülsenfrüchte gegenüber günstigen Importprodukten stärker in den Blick der Konsument:innen rücken können. Genannt wurden vor allem mehr Bildungsarbeit, der Ausbau regionaler Wertschöpfungsketten, eine bessere Verfügbarkeit heimischer Hülsenfrüchte sowie eine deutlichere Kennzeichnung ihrer Regionalität durch Werbung und Verpackung. Wiederholt wurde zudem auf die restriktiven finanziellen Vorgaben in der öffentlichen Gemeinschaftsverpflegung hingewiesen, deren Lösung jedoch auf politischer bzw. verwaltungsseitiger Ebene liegt.

Finale Diskussion. Es folgte die abschließende Podiumsdiskussion von Politik, Wissenschaft und landwirtschaftlicher Praxis zur Frage „Befindet sich die Ernährungswende im Stillstand?“ Die Teilnehmenden waren Frauke Patzke (Staatssekretärin Nds. Landwirtschaftsministeriums), Prof. Dr. Antônio Inácio Andrioli, Dr. Sarah Iweala, Henning Aumund (Bio-Landwirt, Grashornhof) undChristoph Klomburg (Landwirt, Landvolk Niedersachsen).

Die Podiumsdiskussion machte deutlich, dass die Ernährungswende in Deutschland nicht die erforderliche Geschwindigkeit erreicht. Fachlich sei seit Jahren klar, welche Schritte notwendig wären, doch die Umsetzung bleibt hinter den Möglichkeiten zurück. Nach Einschätzung von Frauke Patzke liegt dies vor allem an instabilen politischen Rahmenbedingungen und Programmen, die nicht über Legislaturperioden hinausreichen. Auch Dr. Sarah Iweala betonte, dass vorhandenes Wissen aus Forschung und Beratung bislang nicht systematisch in verbindliche Maßnahmen übersetzt werde und Ernährungspolitik häufig emotionalisiert und als „Verbotspolitik“ dargestellt werde.

Aus der landwirtschaftlichen Praxis wurde aufgezeigt, welche strukturellen Hürden auf Betriebsebene bestehen. Henning Aumund verwies auf hohe wirtschaftliche Risiken, den Druck des offenen Marktes und mangelnde Planbarkeit, die umfassendere Veränderungen erschweren. Christoph Klomburg hob hervor, dass Landwirt:innen stark von Preisstrukturen des Lebensmitteleinzelhandels abhängig seien und im Kern „das produzieren, was nachgefragt wird“. Beide wiesen darauf hin, dass die Landwirtschaft gesellschaftliche Leistungen erbringt, die im derzeitigen System finanziell nicht angemessen abgebildet werden.

Das Konsumverhalten wird trotz wachsender Aufmerksamkeit für nachhaltige Ernährung weiterhin stark durch Preis, Zeit und Verfügbarkeit bestimmt. Nach Einschätzung von Dr. Iweala reicht Ernährungsbildung allein nicht aus, solange die Ernährungsumgebung – von der Platzierung im Supermarkt bis zur Verpflegung in Schulen – nicht entsprechend gestaltet ist. Frau Patzke betonte zudem, dass viele Verbraucher:innen die Ernährungswende zwar unterstützen, bei der Kaufentscheidung aber oft anders handeln.

Prof. Antônio Andrioli, zeigte anhand des Beispiels Brasilien, dass staatliche Programme – etwa öffentliche Beschaffung regionaler Lebensmittel, Preisgarantien und Unterstützung kleinbäuerlicher Strukturen – wirksam zur Ernährungssouveränität beitragen können. Erfolgreiche Ernährungspolitik könne nicht allein der Marktlogik überlassen werden.

Insgesamt wurde deutlich, dass Fortschritte nur durch ein Zusammenspiel aus stabiler Politik, wirtschaftlicher Absicherung der Betriebe, strukturell angepasster Ernährungsumgebung und Kooperation entlang der gesamten Wertschöpfungskette erreichbar sind. Die Teilnehmenden betonten, dass eine Beschleunigung der Ernährungswende vor allem an klare, langfristige und wissenschaftsbasierte Rahmenbedingungen geknüpft sei.

Exkursion am 20. November 2025 zum Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik e.V. in Quakenbrück

Am Folgetag erkundeten die rund 30 Teilnehmenden wie in der Praxis aus Erbse, Ackerbohne und Co. eine pflanzliche -Fleischalternative wird. Im DIL wurde demonstriert, wie im sogenannten High-Moisture-Verfahren, dass aus Hülsenfrüchten gewonnene Proteinmehl und Wasser in speziellen Extrudern fleischähnliche Texturate erzeugt werden, die Basis für verschiedene Fleischalternativen sind.

Die „Produktion“ einer weiteren alternativen Eiweißquelle wurde beim Besuch der Insektenfarm des DIL besichtigt. Hier werden Larven der Schwarzen Soldatenfliege in Klimakammern aufgezogen. Nach einer Woche Aufenthalt in speziellen Kästen mit Nahrungsbrei haben die Larven das 250-fache ihres Gewichts zugenommen. Bislang werden diese als Tierfutter für Haustiere und Fische verwendet.

Exkursion beim DIL - Einblicke in die Produktion pflanzlicher Fleischalternativen